Michael Sachers Buchtipp: Gewässer im Ziplock

Gewässer im Ziplock von Dana Vowinckel 

362 Seiten, Suhrkamp Verlag, 19,99€

 

2021 hatte ich die Ehre und das Vergnügen in der Unnaer Synagoge einen literarische Veranstaltung zur Verwobenheit deutscher und jüdischer Literatur mitzugestalten – wo fängt das eine an und wo hört das andere auf und umgekehrt. Dana Vowinckel hatte in dem Jahr gerade mit dem ersten Kapitel von GEWÄSSER IM ZIPLOCK den Deutschlandfunk Preis beim Bachmann Wettbewerb gewonnen und 2023 ist jetzt endlich der ganze Roman erschienen. Neben der sehr schönen, unaufgeregten Sprache macht diese Familiengeschichte der jüdische Hintergrund besonders. In Deutschland, aber auch in Israel und in Chicago.

Avi ist Kantor einer Berliner Synagoge und allein die Beschreibung des alltäglichen Lebens in einer jüdischen Gemeinde ist gerade jetzt auch ein Blick auf einen Teil deutscher Lebenswirklichkeit, der sonst nicht im allgemeinen Rampenlicht steht. In dieser literarischen Schilderung aber viele Vorurteile oder einfach nur Unkenntnis ausräumen kann.

Seine 15-jährige Tochter Margarita verbringt, wie jedes Jahr, die Sommerferien bei ihren amerikanischen Großeltern in Chicago. Von dort wird sie nach Tel Aviv geschickt, wo ihre Mutter Marsha sich gerade befindet. Marsha hat Avi und Margarita vor zehn Jahren verlassen. Als sie nicht wie versprochen am Flughafen steht, entwickelt sich eine wilde Geschichte über Familienbande, Pubertät und jüdische Traditionen. Natürlich ist dieses Buch im Moment noch einmal viel aktueller und zur Situation passend als wahrscheinlich ursprünglich gedacht.

Ein Teil seiner Wirkung lässt sich vielleicht in einem Zitat von Marina Weisband, das im Katalog zu 1700 Jahre jüdischem Leben in Deutschland steht,  zusammenfassen:

»Ich will nicht mehr Erinnerung an jüdisches Leben in Deutschland. Ich will mehr jüdisches Leben in Deutschland.«

Als kleiner Eindruck die erste Seite aus dem Roman:

„Einmal war er noch für Kiddusch geblieben, ein großes Abendessen nach dem Gebet am Freitagabend. Sie hatten ihn überreden müssen. Er hatte am Kopfende gesessen, der Raum war völlig überfüllt, kaum genug Stühle für alle. Er hatte gesagt, dann wäre es wohl besser, gleich zu gehen, aber sie wollten, dass er blieb und am Kopfende saß, bei den Gabbaim. Sie hatten ihn beobachtet, dabei, wie er beim ersten angebotenen Wodka nickte, danach aber dankend ablehnte, wie er sorgfältig mit dem Plastikmesser und der Plastikgabel das Essen zerschnitt. Er sah ein bisschen zu groß aus für den Stuhl, auf dem er saß.

Es hatte drei Gänge gegeben: Hummus und Salat, dann etwas mit Curry, dann Kuchen, alles vom koscheren Catering. Das Gemüse schien ihm besonders gut zu schmecken, er nahm sich zweimal. Er hatte höflich gelacht, wenn jemand etwas Lustiges sagte, und Fragen nicht ein-, aber auch nicht vielsilbig beantwortet. Sie wussten nun, er wohnte in Prenzlauer Berg, schon lange in derselben Wohnung, deswegen war sie weiterhin günstig, ja, es war schlimm mit den Mietpreisen in Berlin, er hatte Glück gehabt.

Sie fragten ihn, wo er vorher gewohnt habe, und er antwortete Hannover, dabei wussten sie doch um seinen Akzent. Sie hatten versucht, mit ihm über den Zentralrat zu lästern, aber er hatte anscheinend keine Probleme mit dem Zentralrat. Von Nahem sah er müde aus. Er ging noch vor dem Tischgebet, verabschiedete, bedankte sich, nickte nochmal allen zu, wünschte einen friedlichen Schabbes. Danach waren sie sich einig, dass er spannend war, der Kantor, freundlich, und die schönste Stimme von allen hatte er.

Sie fragten sich, ob er einsam war, dort, wohin er zurückging. Ob dort jemand wartete. Er trug keinen Ring, aber was bedeutete das schon, es trugen weniger Leute Ringe, als es Leute gab, die einsam waren.“

Dana Vowinckel wurde 1996 in Berlin geboren und studierte Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. 2023 wurde ihr ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats zugesprochen. Dana Vowinckel lebt in Berlin.

 

Michael Sacher, MdB, wurde bei den letzten Bundestagswahlen erlesen. Vorher hat der Unnaer Buchhändler in Kindergärten, Schulen, VHS, Grünen Salons gern begeisternd vorgelesen. Ab und an kommt er auch noch dazu. Man sieht ihn an Wochenenden auch noch manchmal in „seinem“ Buchladen „bei Hornung“, wo man ihn nach trefflichen Buchgeschenken für beliebige Zielgruppen fragen kann.

 

 

 

 

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