Kürzlich diskutierte ich mit einem Parteifreund Sinn und Unsinn von schwarz-grünen Koalitionen. Er sprach sich für solche Bündnisse aus; es sei wichtig, mehr Grün in die Regierungspolitik zu bringen und das gehe nun mal nicht über bloße Opposition.
Meine Skepsis gegenüber seinen Argumenten soll hier zunächst nicht Thema sein, wohl aber die explizite Feststellung der Möglichkeit, über eine Regierung politisch zu gestalten. In Baden-Württemberg nämlich haben wir einen grünen Ministerpräsidenten und dieser hatte im Bundesrat die Gelegenheit, grüne Asylpolitik umzusetzen. Winfried Kretschmann hat sich bekanntlich anders entschieden. Gegen einige Verbesserungen für Asylbewerber wurden Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft – dies gegen die Beschlüsse der eigenen Partei und die Erkenntnisse von amnesty international und von Flüchtlingsorganisationen.
Was, frage ich also meinen Parteifreund, hilft eine Regierungsbeteiligung, wenn die Regierung den Gestaltungsspielraum nicht nutzen will? Es ist nun die Rede davon, dass die eigentlichen Verursacher dieser schlechten Asylpolitik die Regierungsparteien CDU und SPD sind. Richtig, die kriegen nun das Fett nicht weg – es sind die Grünen, die im Fokus der Kritik stehen. Und ich finde zu Recht, denn wir haben einen demokratisch legitimen Einspruch nicht genutzt.
Warum, darüber kann man spekulieren. Das noble Argument, es ginge um die Verbesserung, entkräftigt sich schnell selbst; die Politik hatte sie lang in Aussicht gestellt. Die Grünen haben sich 1993 bei der Änderung des Asylrechts gegen das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ ausgesprochen. Das zählt für Kretschmann heute nicht mehr. Heribert Prantl schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung vom 22.9.2014:“ Winfried Kretschmann, der ein sympathischer Politiker ist, weiß wohl selber, dass das eine sonderbare Argumentation ist – weil Falsches nicht dadurch richtig wird, dass es in der Verfassung steht; und schon gar nicht muss man dann selbst an der Realisierung und Praktizierung des Falschen mitwirken.“
Was also steckt hinter dieser Kehrtwende: die Wahlen in Baden-Württemberg in zwei Jahren? Richtig, aber das ist nicht alles. Ich denke, es sind einige vorbereitende Maßnahmen für eine eventuelle Allianz zwischen Schwarz und Grün auf Bundesebene. In einem Interview der WELT vom 21.09.2014 lehnt Cem Özdemir einen Spitzensteuersatz bei 80.000 Euro ab, auch die Reform des Ehegattensplitting habe die Leute vor den Kopf gestoßen. Er gipfelt dann in den Aussagen : „Wer hart arbeitet und gut verdient, der soll auch etwas davon haben.“ und „Das Modell der Vermögensabgabe hat sich aus meiner Sicht erledigt, weil es keinen Staatsnotstand gibt.“ Damit kassiert er Wahlprogrammaussagen über Vermögensabgabe und Vermögenssteuer in einem Satz – aus seiner Sicht! Wer die Situation der öffentlichen Haushalte, insbesondere der Kommunen betrachtet, weiß, dass die Aussagen von Cem Özdemir nicht richtig sind. Für mich ist es kein Zufall, dass die Kehrtwenden in der Asyl- und Finanzpolitik Schlag auf Schlag kommen oder anders: es sind Testballons, um die Parteistimmung zu testen. Und da setze ich meine Hoffnung in die Schwarmintelligenz unserer grünen Partei. Wer in die Sozialen Netzwerke schaut, weiß, dass dieser Kurs nicht unwidersprochen bleibt. Wir Grünen haben etwas zu klären. Wollen wir weiterhin ökologisch und sozial sein und uns für einen Ausgleich in Natur und Gesellschaft einsetzen? Oder ersticken wir an Neoliberalismen, die einige von uns heute schon ganz gut draufhaben? Ehrlich gesagt, derzeit habe ich wenig Freude an meiner Parteimitgliedschaft, aber das mag sich ja ändern, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Regieren nur ein ein mögliches Ziel und Opposition nicht immer Mist ist.
Manfred Hartman, OV Unna