Massentierhaltung als Zukunftsvision?

Die landwirtschaftliche Unternehmerin und Tierärztin Dr. Alexandra Engels aus Bönen möchte ihren Putenmastbetrieb an der Grenze zu Unna-Stockum ausbauen. Es sollen zwei neue Ställe entstehen mit insgesamt 8.000 Tieren. Auch wenn der geplante Ausbau genehmigt ist, bleibt er eine Zumutung – für Menschen, Tiere und Umwelt. Dr. Alexandra Engels bezeichnet den Ausbau als eine Investition in die Zukunft, allerdings auf Kosten des Tierwohls, der Umwelt und nicht zuletzt der Gesundheit der Menschen. Zukunftsfähig wäre eine umwelt- und artgerechte Haltung eingebettet in eine nachhaltige Landwirtschaft.

Tierwohl und Tierleid

Puten sind sehr lauffreudige Tiere die ursprünglich in Steppen beheimatet waren. Doch umfassende Studien des BUND-Landesverbandes (2003, 2008, 2013/2014) zeigen, dass landesweit in nahezu allen Ställen qualvolle Enge herrscht. In der geplanten Putenmastanlage sollen pro Stall (ca. 2000 m2) 4000 Puten gehalten werden. Das entspreche mit 0.5 m2 pro Tier zwar der im Ökolandbau empfohlenen Stallfläche pro Tier, allerdings wird dort zusätzlich ein Auslauf von 10 m2 pro Tier empfohlen. Dieser Auslauf im Freiland mit Möglichkeiten zur Beschäftigung, zum Picken, Sandbaden, Aufbaumen usw. entfällt bei der geplanten Putenmastanlage von Frau Dr. Engel komplett. Die hier genehmigte Haltungsform entspricht nicht dem natürlichen Bewegungsdrang der Tiere und erhöht somit das Krankheitsrisiko z.B. die Übertragung von bakteriellen Infektionen.1

Antibiotika und Resistenzbildung

Bakterielle Infektionen können sich unter engen Haltungsbedingungen schnell verbreiten. Da eine Behandlung erkrankter Einzeltiere kaum möglich ist, werden in Putenmastanlagen dieser Größe regelmäßig hohe Mengen Antibiotika an alle Tiere verabreicht.2,3 In Deutschland werden in der Landwirtschaft pro Jahr mehr Antibiotika verbraucht, als in allen Krankenhäusern und Arztpraxen zusammen. Und während der Einsatz von Antibiotika in der Rinder- und Schweinemast in den letzten Jahren rückläufig geworden ist, tut sich bei der Puten- und Geflügelmast – nichts.2

Doch die Antibiotika bleiben nicht in den Ställen. Über die Düngung gelangen sie in Böden und Grundwasser. Hier entwickeln Bakterien schnell Resistenzen – sie gewöhnen sich sozusagen an die Antibiotika. Infizieren diese resistenten Bakterien, oft als multiresistente Keime bezeichnet, ein Tier oder auch einen Menschen kann die Infektion unter Umständen nicht mehr mit Antibiotika geheilt werden. Besonders kritisch ist, dass fast die Hälfte der bei der Geflügelmast eingesetzten Antibiotika zu den Reserve-Antbiotika gehören, die nur im absoluten Notfall zur Behandlung von Menschen eingesetzt werden.3

Biodiversität und Klimawandel

Doch nicht nur Antibiotika gelangen in die Umwelt. Unsere Böden und unser Grundwasser werden zusätzlich stark mit Nitrat belastet. Zwar ist am 1. Mai 2020 ein neues Düngerecht in Kraft getreten, doch laut NABU kann es die steigende Nitratbelastung und die resultierenden Umweltprobleme nicht gezielt und dauerhaft reduzieren. Auch die noch im März 2020 vom Bundesrat beschlossenen Änderungen der Düngeverordnung greifen, laut NABU zu kurz. Sie reichen aus um die Strafzahlungen an die EU zu verhindern. Allerdings wurde die Chance verpasst, die Ursache des Problems anzupacken: Massentierhaltung.4 Denn Mist und Gülle, die bei der Massentierhaltung in riesigen Mengen anfallen, landen als organischer Dünger auf den Feldern. Überdüngung ist häufig die Folge. Der Nährstoffüberschuss gelangt in den Boden und wird als Nitrat in Grund- und Oberflächengewässern ausgewaschen. Durch Monokulturen und die hohe Menge Nitrat im Boden nimmt die Biodiversität und somit das Nahrungsangebot für Insekten immer mehr ab.5 Durch die überdüngten Felder entweicht zudem klimawirksames Lachgas in die Atmosphäre. Lachgas (N2O) ist ein Treibhausgas, das rund 300-mal so klimaschädlich ist wie Kohlendioxid (CO2) und 2018 stammten 79 % der Lachgas-Emissionen in Deutschland aus der Landwirtschaft. Hier zeigt sich, dass LandwirtInnen und die Art der Bewirtschaftung eine zentrale Rolle im Klimaschutz einehmen.6

Es geht auch anders!

Doch zurück zur Putenmastanlage in Unna-Stockum. Wer nicht ganz  auf Fleischkonsum verzichten möchte, kann sich wenigstens für eine artgerechte und nachhaltige Tierhaltung einsetzen! Natürlich bedarf es hierzu LandwirtInnen, die mit Mut und Leidenschaft vorangehen und es bedarf KundInnen, die bereit sind, für eine artgerechte Haltung und eine nachhaltige Landwirtschaft faire Preise zu zahlen. Für die Puten in Unna-Stockum wurde das bedeuten: Schlechtwetter- und Grünauslauf, kleinere Gruppen, robuste und langsamer wachsende Rassen und nachhaltige Futtermittel.  So könnte eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen.

Links zur artgerechten Putenhaltung

https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/tier/grundlagen-tierhaltung/artgerechte-tierhaltung/biopute-lohnt-sich/

https://www.bund-nrw.de/themen/landwirtschaft/hintergruende-und-publikationen/landwirtschaftliche-tierhaltung/putenhaltung-in-nrw/

Quellen

(1) Annette Alpers. Öko-Masthähnchen und Öko-Puten: Managementhandbuch für Niedersachsen, 2017.
(2) Christian Baars; Oda Lambrecht. Antibiotika in Ställen: Riskanter Einsatz in der Geflügelmast. https://​www.tagesschau.de​/​investigativ/​ndr/​antibiotika-​landwirtschaft-​101.html.
(3) Alois Berger. Multiresistente Keime in der Landwirtschaft: Die nächste Pandemie könnte aus dem Hühnerstall kommen, 2020. https://​www.deutschlandfunkkultur.de​/​multiresistente-​keime-​in-​der-​landwirtschaft-​die-​naechste.976.de.html​?​dram:article_id=​487266 (accessed November 15, 2020).
(4) Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU). Düngeverordnung: Änderungen nicht ausreichend: Problem muss endlich an der Wurzel gepackt werden. https://​www.nabu.de​/​natur-​und-​landschaft/​landnutzung/​landwirtschaft/​umweltschutz/​26199.html (accessed November 27, 2020).
(5) Peer Cyriacks. Nitrat im Grundwasser. https://​www.duh.de​/​themen/​natur/​naturvertraegliche-​landnutzung/​stickstoff-​in-​der-​umwelt/​nitrat/​ (accessed November 18, 2020).
(6) Umweltbundesamt. Lachgas und Methan. https://​www.umweltbundesamt.de​/​themen/​boden-​landwirtschaft/​umweltbelastungen-​der-​landwirtschaft/​lachgas-​methan (accessed 18.112020).

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