Jürgen Habermas, der inzwischen 90jährige Philosoph der Frankfurter Schule, legte vor fast 40 Jahren seine „Theorie des kommunikativen Handels“ vor. Eine seiner Hauptthesen: Die Vernunft realisiert sich mittels Sprache in Kommunikation, im Diskurs. Damit hat es Onkel Heini nun so gar nicht. Er ist der Anti-Held des hier besprochenen Buches. Wahrscheinlich hat er von Habermas noch nicht allzu viel gehört; das aber macht ihn nur noch meinungsstärker. Auf Sonntagsnachmittagsspaziergängen monologisiert er von „Systemparteien“ und „Flüchtlingswelle“. Und provoziert damit – ob er’s will oder nicht – vernunftgeleitete Gegenrede.
Philipp Steffan, Philosoph und Autor der Publikation „Sag was“, geht mitten hinein in das kommunikative Geschehen: Die Frage, ob und warum man mit Rechtspopulisten wie Onkel Heini reden soll, erörtert er nicht, um so stärker ist er davon überzeugt, dass ein radikal höflicher, jedoch sehr bestimmt auf die eigenene Meinung bezogener Diskurs seine Wirkung auch auf Onkel Heini hat. Dazu muss zunächst einmal analysiert werden, wann und wo sich ein Gespräch überhaupt lohnt. Das Buch formuliert deshalb viele Fragesätze, mit Hilfe derer Gesprächssituationen eingeschätzt werden können. Wann ist die richtige Zeit zum Gespräch? Bei einem Spaziergang zu zweit also eher als eingequetscht zwischen Tante Gisela und ihrer Schwarzwälder Kirschtorte.
Philipp Steffan gibt fünf Grundhaltungen wieder, mit denen man ein Gespräch beginnen kann:
Tipp 1: Bleibe cool!: Durchatmen, die Betriebstemperatur des Gegenübers ist nicht ausschlaggebend.
Tipp 2: Stelle offene Fragen!: Das dient nicht dazu, dem Gegenüber unendlich viel Raum zu geben, sondern Widersprüche in seiner Argumentation aufzudecken.
Tipp 3: Höre zu!: Raum geben, aber auch Raum verlangen: „Ich habe Dich auch ausreden lassen!“
Tipp 4: Formuliere Kritik höflich!: Wir müssen nicht die Höflichkeitsfloskeln längst veralteter Benimmschulen reproduzieren, nein, Höflichkeit dient dazu, immer wieder den Unterschied zu markieren zu sprachlich rüde vorgestellten (Pseudo-)Argumenten.
Tipp 5: Agiere selbst!: Behalte das Heft in der Hand, steuere aktiv.
Zusammenfassend: Höflichkeit kann eine spitze Waffe sein, wenn sie, gestützt von Argumenten, mit Selbstbewusstsein, aber eben auch Grenzen setzend, auftritt.
Der Autor referiert im folgenden neun Argumentationsmuster, mit denen Rechtspopulisten ihre Gesprächspartner einfangen und kalt stellen wollen
- Whataboutism: „Was ist mit linker Gewalt?“. Ein beliebtes Muster. Antwort „Bleib‘ bitte beim Thema!“
- Themenhopping: „Und dann diese Eurolüge…..!“ Auch hier: „Bleib‘ bitte beim Thema!“
- Strohmann: „Wenn wir die Grenzen aufmachen, kommen alle.“ Die Position des Gegenübers wird verzerrt oder fingiert: Die ursprüngliche Position war hierbei: Wir brauchen ein funktionierendes Asylrecht an Grenzen, von ganz offenen Grenzen war nie die Rede.
- Der Pseudozusammenhang: „Unbegleitete Jugendliche aufnehmen? Und für unsere Jugendlichen ist dann kein Geld da!“ Aufmerksam machen, dass es sich um zwei verschiedene Dinge handelt.
- Sprachbilder: „Flüchtlingswelle!“ Auf die Katastrophenbilder hinweisen.
- Mehrheitsvereinnahmung: „Wir sind das Volk!“ Antwort: „Gesellschaft ist vielfältig“.
- Opferinszenierung: „Gleich wird man in die linke Ecke gestellt!“. Antwort: Kritik muss Gegenkritik zulassen. Genau das ist ja Demokratie.
- Die „alternativen Fakten“ kommen oft unbestimmt daher , z. B. „Ich habe in einem Aufsatz gelesen…..“. Genaue Quellen und deren Seriosität verlangen!
- Rassistische Verallgemeinerung: „Flüchtlinge sind faul.“ Verallgemeinerungen ablehnen, auf Vielfalt abheben.
Wer solche Argumentationsmuster erkennt, wird es leichter haben, in konkrete Diskussionsthemen einzusteigen, die Steffan am Ende seines Heftes beispielhaft nennt. Hier geht es darum standzuhalten gegenüber Vorwürfen wie „Lügenpresse“ und „Asyltourismus“.
Ob wir Onkel Heinis krude Auffassungen ein wenig ins Rutschen bringen können, wer weiß? Doch jedes Gespräch dient dem Dazulernen und der Selbstvergewisserung. Es macht uns stärker und gibt der Vernunft eine Plattform. Jürgen Habermas, Philipp Steffan und Onkel Heini sei Dank!
Manfred Hartmann