Acht Berge von Paolo Cognetti
Penguin Verlag 2021, 272 Seiten
Dass der Autor eine tiefe Verbindung zu den Bergen hat, in denen er diese Geschichte einer lebenslangen Männerfreundschaft ansiedelt, ist immer spürbar. Die Naturbeschreibungen sind so detailliert, liebe- und respektvoll, dass es mich total eingesogen hat in die gewaltige Bergwelt des Monte-Rosa-Massivs in den westitalienischen Alpen. Ein bisschen kenne ich auch die Berge und die sterbenden Bergdörfer dort, ein paar Täler südlicher.
Bruno lebt in einem dieser Dörfer, als letztes Kind. Schule ist nicht so wichtig, er hat verantwortungsvolle Aufgaben mit dem Vieh. Der gleichaltrige Pietro kommt mit seinen Eltern aus Mailand nur im Sommer in das entvölkerte Dorf, wo sie beständig ein Haus mieten, weil der Vater ein leidenschaftlicher Berggänger ist. Der Autor nimmt die Perspektive von Pietro in der Retrospektive ein. Die beiden befreunden sich und erobern zusammen das Umfeld, wobei Bruno die Zeit dazu stehlen muss, indem er sich von der Arbeit entfernt. Pietros Vater versucht, in seinem Sohn die Liebe zu den Gletschern zu entfachen, scheitert aber an seinen Anforderungen dem Kind gegenüber. Überhaupt entfremdet sich Pietro von seinem Vater und auch von den Bergen: als Student in Turin taucht er in andere Welten ab und sieht auch Bruno zwanzig Jahre nicht wieder.
Erst die Ruine auf einer auf 2000m gelegenen Hochebene, die Pietros Vater ihm vererbt hat, bringt die beiden nach dessen Tod wieder zusammen: Pietro nimmt das Erbe an und nimmt auch das Angebot Brunos, das Haus wieder aufzubauen, an. Über das gemeinsame Schaffen können die jungen Männer an ihre Kinderfreundschaft anknüpfen. So entfernt ihre Lebenswelten voneinander sind, sie respektieren einander ohne viele Worte, es gibt kein Besser oder Schlechter, nur pure Akzeptanz. Pietro erkennt ‚seine‘ Berge wieder, und welche Kraft und Orientierung sie ihm geben können. Im letzten Teil des Buches driften die beiden wieder auseinander. Bruno, mittlerweile Familienvater, versucht sich als Bergbauer. Der Geldberuf als Maurer erfüllt ihn nicht, außerdem bringt er ihn weg von seinen Bergen. Pietro geht als Dokumentarfilmer in den Himalaya. Sie bleiben über Pietros Mutter in Verbindung.
In Nepal erklärt ihm ein Sherpa das buddhistische Prinzip der Acht Berge mit dem Kreis in der Mitte: Entweder du eroberst die acht Weltberge oder du bleibst in der Mitte, in deinem Zentrum. Welches Leben ist das Richtige? Es gibt kein besser oder schlechter. Du musst es für dich herausfinden.
Das Buch hat Tiefgang, eine wunderbare, fast lapidare Sprache jenseits aller Bergromantik. Vor allem die Naturbeschreibungen haben mich berührt. Die Beziehung der beiden Protagonisten wird langsam und behutsam entwickelt. Die Quintessenz, was brauche ich für ein erfülltes Leben, klingt noch lange nach. Ein großartiges Buch.
( Seit 2023 gibt es auch den Film zum Buch, der in Cannes den Jurypreis gewann. Auch empfehlenswert. Bei Netflix)