Eva schläft von Francesca Melandri
2. Aufl. Berlin: Wagenbach, 2018. ISBN: 9783-80312805-8. 16 Euro
Meine Eltern fuhren häufig nach Meran. Sie erzählten von sommerlichen Bergwanderungen und von Wirtsleuten, die Deutsch und Italienisch sprachen. Die Geschichte Südtirols hat sie nicht besonders interessiert – und mich ehrlich gesagt auch nicht. Bis ich das Buch der römischen Autorin Francesca Melandri las. Ein Familienroman, der die Zeitspanne von 1919 bis 1992 umfasst.
Aber von vorn: Eva fährt mit dem Zug von Südtirol nach Kalabrien, wo sie ihren im Sterben liegenden Stiefvater Vito besuchen will. Einst wollte er ihre Mutter Gerda heiraten; verschwand dann aber plötzlich, weil er als italienischer Polizist keine „deutsche“ Frau mit unehelichem Kind ehelichen konnte, ohne seine berufliche Laufbahn zu gefährden.
Im Spiel der Mächte wurde Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen. Der italienische Staat versuchte, die österreichisch-ungarische Kultur, das „Deutsche“ also, zu eliminieren. Südtirol hieß nun „Alto Adige“ (= Oberetsch). Deutsch durfte nicht gesprochen werden, die Südtiroler verzweifelten an der Amtssprache Italienisch, die sie nicht verstanden. Dann kam der Duce Mussolini, der mit Hitler verbündet war. Evas Großvater Hermann konnte so 1939 als „Optant“ Südtirol „heim ins Reich“ verlassen. Und dort sein Glück versuchen, das er nicht fand und deshalb nach dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte – als Nazi-Anhänger an den Dorfrand verbannt. Seine Tochter Gerda geht als Küchenhilfe nach Meran und schlägt sich mit ihrer Tochter Eva durchs Leben. Die Südtirol-Politik Italiens führt zu gewalttätigem Widerstand. Evas Onkel gehört zu den „Bumsern“, zu jenen also, die in den 1960er Jahren Anschläge auf Strommasten verüben. Man muss sich klarmachen, dass in Südtirol durchaus hätten nordirische Verhältnisse entstehen können. Wenn nicht eine kluge Politik das verhindert hätte. Eine Politik, für die vor allen Dingen Silvius Magnago (1914-2010) steht, der als Obmann ( = Vorsitzender) der Südtiroler Volkspartei und Landeshauptmann immer wieder den Ausgleich mit Italien sucht. Der Roman hat seine besondere Qualität in der Darstellung der Gedankenwelt des Politikers Silvius Magnago. Er bleibt einsam, weil er ausgleichen will – ein erzkonservativer Mensch, der uns in der Suche nach gewaltlosen Lösungen Respekt abverlangt. Ein Asket, dessen kongeniale Beziehung zum italienischen Ministerpräident Aldo Moro in tiefer Trauer endet, als dieser von den Roten Brigaden umgebracht wurden.
Eva trifft am Ende auf ihren Stiefvater Vito, der immer wieder versucht hatte, mit ihr Kontakt aufzunehmen – was Evas Mutter aber vereitelte.
Der Roman zeigt eine konfliktreiche, traumatisierte Familiengeschichte in Südtirol. Und dass Heimat, ein Zuhause für alle, nur durch Kompromiss entsteht. Oder kulinarisch ausgedrückt: Kaiserschmarren und Pasta passen hervorragend zusammen.