Hinweis: Schlaglichter geben die Meinung der Autor:innen wieder und müssen nicht deckungsgleich mit der Meinung des Grünen Ortsverbands oder der Grünen Fraktion sein.
Dürfen wir zum Potsdamer Geheimtreffen im Landhaus Adlon Wannseekonferenz 2.0 sagen?
Prolog – Zitat dpa:
Auch wegen der räumlichen Nähe – beide Orte sind nur wenige Kilometer voneinander entfernt – war in den vergangenen Tagen immer wieder auf die Wannsee-Konferenz hingewiesen worden, so auch im ursprünglichen Text zur Recherche. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte etwa, dass sie sich durch das Potsdamer Treffen daran erinnert fühle – machte aber zugleich deutlich, dass sie beides nicht gleichsetzen wolle. CDU-Chef Friedrich Merz sagte hingegen, er lehne Vergleiche beider Treffen als unhistorisch ab.
Die Direktorin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Deborah Hartmann, betonte in einer Pressemitteilung, es gebe fundamentale Unterschiede und dennoch »völkische Gedankenparallelen samt Vertreibungsfantasien«. Das sollte allen verdeutlichen, dass durch Äußerungen Rechtsextremer auch aus der AfD »die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt wird«. dpa/ja
Wir wissen:
Jeder Vergleich hinkt und ver-gleichen heißt nicht gleich–setzen. Es ist sicher eine persönliche Ermessensfrage, ob ich diesem Vergleich eine mittelschwere Gehstörung zuordne oder eine strikte Rollatorenpflicht.
Zum wichtigsten Unterschied zur Original-Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942:
Dort saßen Männer mit exekutiver Macht wie die Massenmörder Heydrich und Eichmann. Sie planten mit Staatssekretären aus Ministerien den Völkermord an den europäischen Juden. Sie konnten sicher sein, dass die Pläne umgesetzt würden.
Zum Glück für unser Land sind die Teilnehmer des Potsdamer Geheimtreffens im November 2023 weit von jeglicher Möglichkeit entfernt, ihre Vertreibungs- und Deportationsphantasien umsetzen zu können. Es ist der Auftrag an uns, dafür zu sorgen, dass auch für andere Zusammenkünfte dieser Art Vergleiche mit der ursprünglichen Wannseekonferenz mindestens rollatorenpflichtig bleiben.
Aber griffige Vergleiche lenken die Aufmerksamkeit nun einmal besser als akademische Abhandlungen, haben im politischen Streit durchaus ihre Berechtigung.
Viele, die ich gesprochen habe, haben sich die Veranstaltung des Berliner Ensembles „Geheimplan gegen Deutschland“ nicht angeschaut. Es lohnt sich jedoch, diese gute Stunde Zeit zu investieren für die Aufzeichnung – s. Link unten.
Einige Parallelen zur Nazizeit sind sehr erschreckend.
Hier ein Beispiel:
Die alten Nazis sprachen zunächst davon, Juden nach Madagaskar zu deportieren. Bekanntermaßen wurde dieser Plan nicht umgesetzt.
Nun wird von Neu-Nazis und Konsorten im Potsdamer Geheimtreffen von einem Platz in Nordafrika für Menschen schwadroniert, die nicht in ihr völkisches Weltbild passen. Wie viel Interesse werden denn nordafrikanische Staaten an deportierten Asylsuchenden und deutschen StaatsbürgerInnen haben?
Und dann?
Die Altnazis bauten nach dem Scheitern des Madagaskar-Plans Vernichtungslager – der industriell organisierte Völkermord begann.
Was ist die Alternative der teilnehmenden AFDler, Identitären, Werte-Unionisten und bekennenden Nazis zum Nordafrika-Plan?
Und noch etwas:
Vieles, was in dem Potsdamer Geheimtreffen in sehr konzentrierter Form diskutiert und vorgeschlagen wurde, konnten wir den Reden von AFD-lern und Identitären und anderen Rechtsextremen und Faschisten seit Jahren entnehmen. Der AFD-Abgeordnete Matthias Helferich, der sich selbst „das freundliche Gesicht des Nationalsozialmus“ nennt, forderte am 29.8.2023 in Massen mit dem Banner „Remigration jetzt“. Das ist nur die beschönigende Bezeichnung für Vertreibung und Deportation.
Aber jetzt machte CORRECTIV seine investigative Undercover- Recherche mit einem leichten Touch von James Bond und rüttelte „die Massen“ auf. Einige Menschen gingen das erste Mal in ihrem Leben auf eine Demonstration.
Was können wir daraus lernen?
Gerade wir GRÜNEN sind – durchaus mit guten Gründen – bemüht um einen intellektuell ausgewogenen und sehr sachlichen, faktenbasierten Disput. Das sollten wir weiter praktizieren.
Und gleichzeitig muss uns klar sein, dass das meist nicht ausreicht, um viele Menschen zu mobilisieren.
Eine nur oberflächliche Beschäftigung mit der menschlichen Gehirnanatomie gibt Hinweise darauf, warum das so ist.
Im besten Sinne „populistisch“ ausgedrückt, heißt das:
Es braucht eine gute Zusammenarbeit von Mut , Herz und Verstand.
So, wie wir es bei unseren Geehrten an unseren Grünen Neujahrsempfängen finden und als Beispiel empfehlen.
Und für uns heißt das im Alltag: mit Leuten auch weit außerhalb des GRÜNEN Milieus diskutieren und uns regelmäßig dort aufhalten, wo GRÜNES „Wording“ gerade nicht die Regel ist. Das muss gar nicht wehtun. Andere als GRÜNE „Wordings“ können zutreffend sein und vielleicht manchmal auch mehr Spaß machen. Die Autorin spricht aus Erfahrung.
Gudrun Bürhaus