Rassisten-Straßennamen bleiben – übel?

 

Grüner Salon sucht Gedenkkultur

Im Dezember beschloß Unnas Rat gegen die Grünen (und je 1 SPD und Linke Stimme) Wagenfeld-, Lersch- und Sedanstraße nicht umzubenennen. Der nicht-öffentliche interfraktionelle „AK-Straßennamen“ hatte das ohne nähere Begründung empfohlen. In einem Grünen Salon hinterfragte der Spurensucher Wilhelm Hochgräber die Entscheidung des Rates einer Stadt, die sich seit 2014 stolz „Stadt ohne Rassismus – Stadt mit Courage“ nennt.

Wagenfeld war am 1.5.1933 der NSDAP beigetreten. Dabei unterschrieb er wie alle Parteigenossen: „Ich erkläre hiermit auf Ehre und Gewissen, dass ich deutsch-arischer Abstammung und frei von jedem jüdischen und farbigen Rasseeinschlag bin…“

Wagenfeld war seit Beginn des 1. Weltkrieg als rassistischer Hassprediger hervorgetreten. „So wie Wagenfeld als „Triebkraft der westfälischen Heimatbewegung“ gilt, gilt er zugleich als Repräsentant fremdenfeindlicher und rassistischer Anschauungen, „die mit der nationalsozialistischen Ideologie übereinstimmten“. 1923 erklärte er in seiner Rede auf dem Westfalentag in Soest zur Migration in das Industriegebiet an Rhein und Ruhr, „gerade der Heimatgedanke“ sei „berufen …, den besten Schutzwall aufzurichten gegen das Vordringen einer volksfremden Kultur, die sich im Westen Deutschlands einnisten möchte.“[5] 1926/27 forderte er in einer Heimatpublikation „Rassereinheit“. Dem „Rassengemisch der Großstadt“ stellte er den „blonden Niederdeutschen“ entgegen. Er war ein Befürworter der Eugenik zum Schutz des „Stammes- und Blutserbes der Väter“ gegenüber „Fremdrassigen“. Die Gegner der Heimatbewegung und ihrer Ziele sah er teils in Angehörigen fremder Völker außerhalb der deutschen Grenzen, teils in „Fremdrassigen“ innerhalb der deutschen Grenzen, die „das deutsche Gastrecht mißbrauchen“ würden. Er drohte ihnen, wer die Heimat nicht ehre, der sei „ein Lump und des Glücks in der Heimat nicht wert.“ Gegen diese Lumpen gebe es „nur Kampf, Kampf bis zum sieghaften Ende“. 1931 warnte er mit dem Ziel eines besseren „Heimatschutzes“ vor rassehygienischen Verfehlungen: „Eheschließungen mit ihren Blutmischungen verschiedener Stämme und Rassen“ würden „fortdauernd und nicht immer günstig die stammlichen Erbmassen (beeinflussen).“ Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und ihre deutschnationalen Bündnispartner begrüßte er als Erfüllung der Ziele der Heimatbewegung. Noch vor dem Beginn der gegen „Konjunkturritter“ gerichteten mehrjährigen Eintrittssperre in die NSDAP gelang ihm Ende April 1933 die Aufnahme in die Partei. Gegenüber einem nationalsozialistischen Freund begründete er seinen Eintritt damit, „die unbedingte Notwendigkeit“ erkannt zu haben, „unbedingt der N.S.D.A.P. bei[zu]treten“. Wer in ihm einen „Konjunkturjäger“ sehe, dem schlage er „in die Fresse“. Er hoffe, dass er „jetzt noch besser als früher Schulter an Schulter“ mit seinem Freund für die „deutsche Sache arbeiten“ könne. Später bekannte er, es müsse „der deutsche Mensch als Träger deutschen Wesens … Mittel und Endpunkt deutschen Heimatschutzes“ sein. „Deutscher Heimatschutz“ müsse „Volkssache“ werden, und bekundete: „Das neue Reich brachte meiner Forderung die Erfüllung.“ (aus Wikipedia)

Trotz Aufnahmesperre gegen opportunistische „Märzgefallene“ vom 19.4.1933 bis 20.4.1937 nahm die Führerpartei Lersch am 1.8.1935 auf (Mitgliedsnummer 3.701.750 ). Nach den Bücherverbrennungen gehörte er Im Oktober 1933 gehörte er zu den 88 deutschen Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterzeichneten. Er hatte nicht nur deshalb Protektion von Nazigrößen, sein „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“ prunkte abgewandelt auch auf Unnas Nazi-Kriegermal im Stadtgarten „Ihr starbt, damit wir leben!“ Goebbels benutzte Lerschens Tonlage auch gern bei seinen Mobilisierungsreden für den totalen Krieg.

Wilhelm Hochgräber würdigte zu Beginn seines Impulsreferates ausdrücklich die vielen Anstrengungen zu einer verantwortlichen Gedenkkultur in Unna seit den 90er Jahren. Schriften zu Juden und Zwangsarbeiterschicksalen in Unna, Gedenkveranstaltungen zum Holocaustgedenktag seit 2007, öffentliche Stolpersteinverlegungen, diverse Aktivitäten des „Runden Tisches gegen Gewalt und Rassismus“ (von allen Ratsfraktionen getragen) seit 2009 und schließlich auch die Auszeichnung der Stadt als „Stadt ohne Rassismus – Stadt mit Courage“ haben erfreulich viele Jugendliche für ein Lernen aus der Geschichte begeistert.

Das „Weiter-so“ für Rassistenehrung durch Straßennahmen war nicht nur für Hochgräber unverständlich. „Kurt Schumacher, Nazi-Widerständler und langjähriger KZ-Insasse war der erste SPD-Nachkriegsvorsitzende. Die SPD war wichtige Widerstandspartei. Warum Unnas Mehrheitsfraktion hier Nazi-Ehrungen nach Entdeckung beibehalten will, ist mir ein Rätsel.“

Auch die Anbringung von Zusatzschildern und QR-Codes wurde in der Grünen-Salon-Diskussion für „bescheuert“ (es gab noch deutlichere Kommentare) gehalten. Hieß doch die Bahnhofstraße 1933-1945 Adolf-Hitler-Straße, der Untertitel in Unnas erster Straßennamens-Chronik von Wilhelm Timm (nach dem deutsch-nationalen Chroniker ist Unnas Stadtrachivs-Lesesaal benannt) ist: „Adolf Hitler, deutscher Reichskanzler, 1933-1945.“ Stimmt ja irgendwie, aber da war ja noch was.

Zwei Dutzend Diskutanten beim Grünen Salon zeigten leider auch, dass die Rassisten-Straßennahmen noch wenig Schall und Rauch entfalten. Manfred Hartmann, Grüne (Gegen)Stimme im AK-Straßennamen, berichtete aus Münster und anderen Städten von breiteren bürgerschaftlichen Debatten und positiven Umbenennungen.

Unna hat noch keine Straße mit den Namen von Nazi-Widerständler*innen, noch kein Straßenname ehrt Zwangsarbeiter*innen und auch die drei Straßennahmen mit jüdischen Nazi-Opfern wurden bewußt so gelegt, dass keine Adress-Änderung von Bewohnern nötig wurde.

Geschichtsgeschichten können die Gegenwart verklügern. Die CDU-Verteidigungsministerin beginnt mit dem Abschied der Bundeswehr von den Wehrmachtsbefeierung. Positive Namensvorschläge für die Nazi-Straßennamen wären ein schöner Schritt in und für Unna. Neben Aufregungen freut sich Grün auf Anregungen.

30. März 2018, Hermann Strahl, stellte als Ratsmitglied 1995 den Antrag, u.a. die Passage zwischen Gesellschafts- und Gerhart-Hauptmann-Straße vor der Bebauung „Geschwister Leisner-Straße“ zu benennen. Ihr Schulweg zur Nicolai-Schule verlief hier. Er ärgert sich noch heute über sich, dass er Michael Hoffmanns Äußerung im Ältestenrat zum Antrag „das gibt gefährliche Debatten“ nicht öffentlich machte.)

Kurz und Düsteres zu Unnas Straßennamensänderungen: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/nstopo/strnam/Kommune_216.html

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