Im Jahr 1819, also vor genau 200 Jahren, veröffentlichte Johann Wolfgang von Goethe Gedichte, die inspiriert sind von der Dichtung des persischen Mystikers Hafis. Er nannte das Buch „West-östlicher Divan“. 192 Jahre später- Ende 2011- beginnt auf einer Geburtstagsfeier in Unnas „Neuer Schmiede“ eine Beziehung, an der wahrscheinlich sowohl Hafis als auch Goethe ihre Freude gehabt hätten. Charlotte Kunert und Sacit Soyubey – wie drücken wir es nun am Besten aus, sagen wir: gingen aufeinander zu. Es war so, als ob sie dabei im Hinterkopf hatten, was Goethe in seinem „Divan“ lyrisch zu Papier brachte:
Wer sich selbst und andre kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen.
Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen lass‘ ich gelten;
Also zwischen Ost und Westen
Sich bewegen, sei’s zum Besten!
Das Gedicht ist ungewöhnlich modern, es geht um’s Kennenlernen und Erkennen, dass man Teil Einer Welt ist, es geht um Erfahrungen, die man sammeln muss, um sich als Eines und Unterschiedliches zu begreifen.
Erfahrungsgetränkt ist Charlotte Kunert, Sozialarbeiterin, langjähriges Mitglied im Stadtrat, viele Jahre GAL-Geschäftsführerin in einem SpontUN, das mir ihr mehrere Umzüge hinter sich brachte. Erfahrungsgetränkt auch ihr neuer Partner Sacit Soyubey, der Ende der 1970er Jahre aus Istanbul nach Köln kommt und dort ein Ingenieursstudium aufnimmt. Beide hatten schon eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich, umso mehr freuten wir uns, dass hier noch einmal ein neues Glück versucht wurde.
Charlotte ist eine Frau mit viel Herz, vernetzt in der ganzen Stadt, als Gesundheitsmanagerin im Evangelischen Krankenhaus tätig und heute grüne Fraktionschefin. Hörte es sich nicht so nach Militär an, bezeichneten wir sie gern als „Mutter der Kompanie“. Kein Besuch bei ihr, bei dem es nicht leckeres Essen gäbe, keine Veranstaltung, auf der sie sich nicht allen widmete, besonders aber den jungen Menschen – vielleicht in der Sehnsucht, selbst „forever young“ zu bleiben. Immer zupackend, überall helfend, und wie ihr neuer Partner auch mit einer Portion Empörungsbereitschaft ausgestattet: „Das geht doch gar nicht!“ – ein oft gehörter Satz, der sie motiviert, politische Lösungen für ein Problem zu finden. Die Fraktion führt sie mit Mut, Herz und Verstand.
Sacit, der seine Herkunft aus der Türkei oft zum Anlass für Witzeleien nimmt, die allesamt einen wahren Kern haben: Osmane, Pascha, kleiner Sultan, all das sind Selbstbeschreibungen für einen Menschen, dem das große Herz schnell auf der Zunge liegt. Zarte Gefühle und plötzliche Wut liegen hier nahe beieinander; immer aber ist er großzügig und hilfsbereit. Als Ingenieur bei einem großen Dortmunder Pumpenhersteller hat er Sinn für Zahlenwerke, für Berechnungen, eine Fähigkeit, die es ihm leicht macht zu erkennen, wann die Verwaltung oder der Rat ihn mit Kalkulationen überrumpeln will, die auch ganz anders interpretiert werden können. Als grünes Fraktionsmitglied bringt er Gefühl und Vernunft ein. In Ausschüssen und Aufsichtsräten erweist er sich als kritischer Geist.
Unvergessen bleibt eine Reise in seine Heimat Istanbul, die er 2005 für uns Grüne organisierte und bei der er mit seinem eigenen Körper widerlegte, dass nur Frauen mit dem Bauch tanzen können.
Unnas Weg in den Orient, nach Lünern zu Charlottes und Sacits Haus, führt über die Morgenstraße, also der Sonne entgegen und diese Sonne würde nicht so viel Licht werfen, wenn da nicht auch noch die Familie wäre: Kinder, Enkel und Charlottes Mutter Ursula Kunert. Letztere als ewigjunge Ältere, Fässchen-Beauftragte der Grünen Partei, reiselustig und mit einem großen Herz für die Lieben daheim und in der Welt – eine Seniorin, auf die man sich immer verlassen kann.
Goethes Vision einer weltumspannenden Gemeinschaft wird nur wirklich, wenn wir es schaffen, den jeweils anderen Blick einzunehmen, die Perspektive, die uns nicht vertraut ist, die wir uns mit viel Mühe und Plage aneignen müssen.
„Divan“ heißt zu deutsch auch „Ratsversammlung“ und wer wünschte sich nicht, dass der Unnaer Rat wieder zu einer einmütigen Versammlung der unterschiedlichen Perspektiven und des inhaltlich fundierten Diskurses würde und nicht mehr vornehmlich als Staatl. Geprüfte Fraktionsaustrittsstelle wahrgenommen wird?
Beschließen wir das noch einmal mit Goethe, dessen globale Perspektive aller Himmelsrichtungen Gläubigen wie Nichtgläubigen etwas geben kann:
Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Occident!
Nord- und südliches Gelände
Ruht im Frieden seiner Hände!
Unsere guten Wünschen zum 60. Geburtstag gelten von Herzen Charlotte und Sacit und zum 80. Jubelfest Ursula!
Manfred Hartmann