Ich wurde aufmerksam auf das Buch, als es 2023 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und ich im Klappentext las: „In der DDR geboren, im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Als die Mauer fällt, ist Stine gerade einmal drei Jahre alt. Doch die Familie ist tief verstrickt. In ein System, von dem sie nicht lassen kann und in dem Glauben, das richtige Leben gelebt zu haben. Bestechend klar und kühn erzählt Anne Rabe von einer Generation, deren Herkunft eine Leerstelle ist.“ (Magda Birkmann).
Gelesen habe ich es dann, weil ich mir davon versprochen habe, endlich besser zu verstehen, warum ostdeutsche Menschen überproportional nationalistische und autoritäre Parteien wählen. Und weil ich Lesegenuss erhofft habe. Beide Erwartungen haben sich erfüllt. Meine Familie hatte keine Bezüge zur DDR, und ich hatte lange keine Lust, die neuen deutschen Bundesländer kennenzulernen. Als ich dann bei einer Fahrradreise von Berlin nach Stralsund das `DDR-Museum` in Waren an der Müritz besuchte, war ich entsetzt, wie unkritisch dieser Staat dort gefeiert wurde. „Wir hatten doch alles, und die Menschen haben noch aufeinander geschaut.“ Ja, dachte ich, man hat sehr gut geschaut, was die anderen so machten. Und es gleich gemeldet…
Das Motto der AFD „ Vollende die Wende“ richtet sich an Menschen, die in diesen Strukturen Halt fanden. „Wer einen Konflikt mit dem System hatte, war selber schuld“ sagt Anne Rabe in einem Interview mit der TAZ vom 9.11.24, also blieb man besser unauffällig und arrangierte sich. Ihr Anliegen im Roman ist es aufzuzeigen, dass die Machtstrukturen der DDR weiter wirkten, bis hinein in die Generation, die diesen Staat selbst gar nicht erlebt hat oder sehr jung war, wie die Autorin selbst. Ihrer Meinung nach sind Verbrechen wie z.B. die Haftstrafen für „Abweichler“ oder die Verbringung von renitenten Jugendlichen in sogenannte Werkhöfe, in denen körperliche und seelische Gewalt ausgeübt wurde, nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Das Aufwachsen nach dem Systemwechsel in Familien, in denen diese Fragen verdrängt und verleugnet wurden, sieht sie als Ursache für Rassismus und Sehnsucht nach Autoritäten an und verarbeitet diese Thematik in ihrem bewegenden Roman.
Mich hat das Thema beschäftigt, weil ich an mein Aufwachsen in den 60er Jahren dachte, Fragen zum Nationalsozialismus, harte Diskussionen, Ohrfeige für Kiesinger, die Unfähigkeit, sich der Vergangenheit zu stellen- aber immerhin konnte gestritten und demonstriert werden. In der DDR nicht. Nur wenige haben sich getraut. Für die Autorin hat nicht „das Volk“, sondern haben die Bürgerrechtler die Wende mutig angestoßen. Die ostdeutschen Bundesländer bleiben mir in Vielem fremd. Ich werde weiterhin versuchen, zu verstehen. Das Buch `Die Möglichkeit von Glück` trägt dazu bei.
Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück
Klett Cotta Verlag, 24 €